“Das wird der glücklichste Tag deines Lebens”, sagte meine Mutter, wenn wir über das Heiraten sprachen. Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, dass die Eheschließung ein großer Schlüssel zum ewigen Glück ist. Dass die Ehe mich zufriedener und gesünder machen würde. Aber hat irgendwer mal gefragt, ob das auch stimmt?
Ich persönlich halte das Konzept des Heiratens und die Ehe als Institution ja für absolut überbewertet. Wenn ich jemanden mit einem offiziellen Versprechen bis zum Tod an mich binden möchte, kann ich auch einen Kredit für eine Eigentumswohnung in Berlin aufnehmen: Bei meiner Bank kann ich mir auch sicher sein, dass sie mich nicht verlassen wird.
Heiraten: Nicht mehr zur Scheidung verdammt
Aber Spaß beiseite. Heutzutage wird ja zum Glück niemand mehr zum Heiraten gezwungen. Das finde ich persönlich ja sehr gut und trägt vermutlich auch dazu bei, dass die Scheidungsraten in Deutschland seit Jahren sinken. Wurden im Jahr 2004 noch 425 von 1000 Ehen geschieden, waren es im Jahr 2023 nur noch 277 von 1000.
Während unsere Eltern Großeltern häufig noch aus traditionellen oder finanziellen Gründen geheiratet haben, geben die meisten Ehepartner*innen sich heutzutage eher aus emotionalen Gründen das Ja-Wort. Die meisten Paare leben bereits vor der Hochzeit viele Jahre zusammen und kennen einander gut und bringen mehr Beziehungserfahrung mit, als das etwa vor 50 Jahren noch der Fall war.
Aber folgt daraus auch, dass der Weg zum Altar auch automatisch der Weg ins Glück ist? Und bedeutet das umgekehrt, dass Unverheiratete etwas verpassen?



Glücklicher durch Heiraten: Was sagen Studien?
Diverse Studien wollen belegen, dass Heiraten uns glücklicher macht. Die jüngste davon ist eine Untersuchung des Markt- und Meinungsforschungsinstituts Gallup. Das Institut wertete Daten aus Nutzerbefragungen aus, die in den Jahren von 2008 bis 2023 gesammelt wurden. Rund 2,5 Millionen Menschen nahmen an den Befragungen teil.
Gallup berichtet, dass verheiratete Menschen zwischen 25 und 50 Jahren eine deutlich höhere Lebenszufriedenheit angeben als Unverheiratete. Damit habe die Ehe einen weitaus höheren Einfluss auf das Glück als andere Faktoren wie Rasse, Ethnie, Alter, Geschlecht oder Bildungsstatus. Ähnliche Studien kamen in der Vergangenheit zu vergleichbaren Ergebnissen.
Wenn du bei Studien wie der von Gallup die Stirn runzelst, liegst du damit vollkommen richtig. Denn die meisten dieser Untersuchungen kranken in ihrer Methodik und Interpretation. Setz dir deine Nerdbrille auf, denn dieser Post wird etwas wissenschaftlicher als sonst.
Schwäche 1: Nicht jeder Zusammenhang ist Ursache und Wirkung
Der Gallup-Poll kam zu dem Ergebnis, dass Heiraten und hohe Lebenszufriedenheit häufig Hand in Hand geben. Das ist aber noch lange kein Beleg dafür, dass eine Eheschließung auch der Grund für den Glücksanstieg ist. Wesentlich wahrscheinlicher ist der umgekehrte Zusammenhang: Menschen, die emotional stabil und mit ihrem Leben zufrieden sind, haben eine größere Chance, stabile Beziehungen einzugehen und zu erhalten, sodass es überhaupt zu einer Hochzeit kommt. Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass alle Unverheirateten unglücklich sind. Denn nicht jeder Mensch mit einer hohen Lebenszufriedenheit muss sich für die Ehe entscheiden.
Schwäche 2: Wie misst man Glück?
Gallup nutzte die sogenannte Cantril-Leiter, um das Glück der Teilnehmenden zu bestimmten. Dabei handelt es sich um eine Skala von 1 bis 10, wobei 1 für “sehr unglücklich” und 10 für “ultimativ glücklich” steht. Die Teilnehmenden gaben an, wo auf dieser Skala sie ihre eigene Lebenszufriedenheit einordnen würden. Das ist natürlich eine sehr subjektive Momentaufnahme. Wir erfahren nichts darüber, wie die Teilnehmenden zu ihrer Bewertung kommen.
Schwäche 3: Alles nur Momentaufnahmen
Obwohl Gallup über rund 15 Jahre Daten erfasst hast, lässt sich keine Aussage darüber treffen, wie sich die Heiraten langfristig auf die Lebenszufriedenheit auswirkt. Es handelt sich also um eine riesige Menge an Momentaufnahmen aus dem Teilnehmerfeld. Es ist aber höchst unwahrscheinlich, dass alle Verheirateten auch wirklich über den ganzen Beobachtungszeitraum verheiratet geblieben sind. Was ist also mit den Teilnehmenden, die in diesen 15 Jahren verwitwet oder geschieden wurden?
In früheren Studien wurden Verwitwete oder Geschiedene gerne nachträglich aus der Auswertung entfernt. Dabei sind Tod und Scheidung zwei wichtige Implikationen, die eine Ehe unmittelbar mit sich bringt und sich deutlich auf das Glück der Beteiligten auswirken können. Sie zu ignorieren wäre so als würde man die Wirksamkeit eines Medikaments bewerben, ohne die Nebenwirkungen anzugeben.
Wenn überhaupt kann man aus den Gallup-Daten also nur geschlossen werden, dass aktuell verheiratete Menschen glücklicher sind, nicht aber dass eine Ehe langfristiges Glück verspricht.
Heiraten und Glück: Wie sähe die perfekte Studie aus?
Angenommen, Heiraten wäre ein Medikament gegen das Problem “Unglück”, müsste seine Wirkung in klinischen Studien bestätigt werden, um eine behördliche Zulassung für den deutschen Markt zu erhalten.
In einer solchen Studie würde man Menschen nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen teilen: Die Teilnehmenden der ersten Gruppe heiraten, die in der zweiten Gruppe bleiben alleinstehend. Wichtig wäre, das beide Gruppen sehr ähnliche Lebensumstände und Hintergründe haben. Anschließend würde man so verschiedenen Zeitpunkten die Lebenszufriedenheit der Teilnehmenden bewerten.
Eine solche Studie wäre nicht zuletzt aus ethischen Gründen nicht umsetzbar.
Was sagen Langzeitstudien über Heiraten und Glück?
Der nächstbeste Versuch ist also, eine Gruppe von Menschen über einen längeren Zeitraum zu begleiten. Dabei dokumentiert man, wie sich die Lebenszufriedenheit durch verschiedene Lebensereignisse verändert. Entsprechend muss erfasst werden, wie hoch die Lebenszufriedenheit vor dem Ereignis war und wie sie sich in der Zeit danach entwickelt.
Eine Metaanalyse hat nach diesem Konzept untersucht, wie Hochzeit und Scheidung sich auf das Glücksempfinden auswirken. Sie kommt zu zwei Schlüssen:
- Nach einer Scheidung sind Menschenl kurzfristig unglücklicher als davor. In den Monaten und Jahren danach nimmt die Lebenszufriedenheit jedoch wieder zu und wächst teilweise sogar über den Ausgangswert hinaus.
- Nach einer Hochzeit sind Menschen kurzfristig glücklicher als davor. Etwa 4 Monate später sinkt die Lebenszufriedenheit wieder aus den Ausgangswert und bei manchen sogar noch tiefer.
Profitieren Männer mehr von Heiraten als Frauen?
Auf Instagram bin ich auf die Hypothese gestoßen, dass hauptsächlich Männer glücklicher werden, wenn sie in einer Ehe sesshaft werden. Frauen dagegen scheinen in der Ehe eher unglücklich zu werden – vor allem, wenn sie auch noch Kinder bekommen.
Natürlich wurde für alle diese Aussagen keine nachvollziehbare Quelle angegeben. Ich nehme an, dass dieser Content auf Veröffentlichungen des Verhaltensforschers Paul Dolan zurückgeht. Laut dem sind kinderlose Singlefrauen nämlich die glücklichste Bevölkerungsgruppe.
So gerne ich diese These auch unterschreiben würde: Die Daten, auf die Dolan sich beruft, halten einer näheren Überprüfung nicht stand , wie ein Beitrag der University of California, Berkeley ausführt.
Studien aus den 70er Jahren belegen tatsächlich, dass verheiratete Männer im Schnitt gesünder und glücklicher sind als Single-Männer. Andersherum waren verheiratete Frauen häufiger krank und unglücklich als Single-Frauen. Diese Studien kamen jedoch aus einer Zeit, in der Frauen sich durch Eheschließung häufig auch in finanzielle Abhängigkeit begaben. Viele gaben Lebensträume auf, um Haus und Kinder zu hüten. Diese Umstände haben sich inzwischen erheblich verändert, sodass die Ergebnisse sich kaum auf heutige Verhältnisse übertragen lassen.
Heiraten kann man machen – muss man aber nicht.
Der Weg zum Altar führt nicht zwangsläufig zum Glück. Vorliegende Studien belegen vor allem, dass glückliche Ehen uns glücklich machen. Der Fokus sollte also nicht darauf liegen, sich mit aller Macht den einen Ring anlegen zu wollen. Vielmehr sollten wir uns mit den Faktoren befassen, die die Lebenszufriedenheit grundsätzlich erhöhen, z. B. ein unterstützendes soziales Umfeld, auf das man sich nicht nur im Krisenfall verlassen kann.

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Für immer Single?
Ich bin 37 Jahre alt und war noch nie verheiratet. Bedeutet das jetzt, dass ich für immer Single bleibe? Vielleicht. Und manchmal macht mir dieser Gedanke Angst. Woher das kommt und warum ich mich damit anfreunden möchte, liest du im verlinkten Post.