Online-Dating suckt! Dating Apps haben mich und dich, uns alle zu schlechteren, unglücklicher Menschen gemacht. Können wir bitte alle gemeinsam aufhören, sie zu benutzen? Ein Rant.
Diesen Post widme ich Felix, Tobi, Steffen 1-3, Karim, Martin und all die anderen Menschen, die ich aufgrund unvorteilhafter Fotos oder fehlenden Unterhaltungswerts abgewiesen und geghostet habe. Es tut mir wirklich leid.
Diesen Post widme ich mir selbst als Mahnmal, nie wieder Zeit mit mechanischem Swipen und unmotivierten Chats zu verschwenden. Bei Langeweile tut’s auch Candy Crush.
Ich installiere mir Tinder zum ersten Mal, als ich nachts neben meinem damaligen Verlobtem im Bett lag und nicht schlafen konnte. Nicht, dass ich damals schon nach einem Exit gesucht hätte – nach vier Jahren Beziehung hatte ich einfach Lust, meinen Marktwert mal wieder auf die Probe zu stellen. Ich spürte dieselbe freudige Erregung wie damals, als ich mich mit 15 in einem Chatportal für Erwachsene anmeldete, um dort mit älteren Männern schmutzige Unterhaltungen zu führen (wer wusste damals schon, was Cybergrooming ist?).
Nach ein paar Swipes schrieb ich mit meinen ersten Matches und ein Typ namens Nikita wollte ein Date ausmachen. In diesem Moment seufzte mein Freund im Schlaf und setzte meinen moralischen Kompass wieder in Gang. Ohne ein weiteres Wort an Nikita löschte ich mein Profil und die App gleich mit. Geswiped, gematcht, geghostet wie ein professioneller User. Offenbar war ich ein Naturtalent.
Jedes Match ein kleiner Dopaminkick für mein Ego.
Kurze Zeit später war ich dann tatsächlich Single und bekam endlich Gelegenheit, meinen Umgang mit Dating Apps auf das nächste Level zu heben. Und hätte ich vorher gewusst, worauf ich mich einlasse, hätte ich mir das mit der Trennung vielleicht noch einmal überlegt (nur ein Scherz, haha. Oder nicht?).
In den ersten Wochen gefiel mir Tinder eigentlich ziemlich gut: Mit einem Mal hatte ich eine scheinbar unendlich Auswahl an attraktiven und verfügbaren Singlemännern vor mir, die ich nach und nach swipen konnte, während ich auf dem Klo saß. Keine cringen Annäherungsversuche. Keine wochenlangen Ermittlungen nach möglichen Partnerinnen. Die Profile bieten mir die Möglichkeit, mich selbst so darzustellen, wie ich wahrgenommen werden möchte. Und als Frau, die in der DNA-Lotterie keine Niete gezogen hat, mangelte es mir auch nie an Interessenten.
Doch schon nach ein paar Wochen hatte ich die Schnauze voll.
Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte. Nicht.
Dating Apps sind ein visuelles Medium: Innerhalb von Sekundenbruchteilen bewerten wir eine völlig fremde Person anhand eines einzelnen Bildes. Bildanalysen ergaben, dass Profiltexte in Dating Apps eigentlich kaum gelesen werden – nicht einmal, nachdem ein Match zustande gekommen ist (1).
Gucken ist leichter als Lesen, das leuchtet ein. Aber Bilder transportiert nur einen sehr reduzierten ersten Eindruck. Mehr als einmal ist mir aufgefallen, dass mir Männer erst beim dritten, vierten, hundertsten Anschauen optisch gefallen haben. Die meisten meiner Ex-Partner hätte ich in Dating-Apps vermutlich nach links geswipt.
Die logische Konsequenz ist Photoshop oder eine sehr selektive Bildauswahl, bei der ein paar Haare dazu und ein paar Kilos weggemogelt werden. Mehr als einmal habe ich mein Date am vereinbarten Treffpunkt “nicht gefunden”, weil der Mensch, der mich dort erwartete nur entfernt an den Menschen auf dem Profilbild erinnerte.
Bloß keine Mühe geben
Dating-Apps suggerieren eine unendliche Verfügbarkeit an möglichen Partnern. Bei einem langweiligen Date kann ich einfach mein nächstes Date swipen. Ich chatte mit mehreren Matches parallel, während im Hintergrund “Too hot to handle” läuft. Man kann sich ja auch nicht mehr sicher sein, ob bei dem ganzen Geschreibe überhaupt mal ein Treffen zustande kommt. Manchmal fehlt mir auch die Zeit, um alle Matches adäquat zu managen. Dann werden sie einfach aufgelöst. Früher habe ich die Männer einfach geghostet. Später hatte ich zumindest den Anstand, einen kurzen Abschiedstext zu schicken. Trotzdem fühle ich mich dabei, als würde ich Menschen wie Müll behandeln.
Ich bin ein Vorzeigemodell für Low Investment Dating: Ich geb mir minimale Mühe, schreibe und treffe mich mit mehreren Männern gleichzeitig, nehme mir keine Zeit, mich auf einen Menschen richtig einzulassen. Und warum sollte ich auch? Alle anderen machen es ja genauso. Warum ich immer noch niemanden gefunden habe? Keine Ahnung.
Dating Apps machen uns noch oberflächlicher
Vor einer Weile habe ich mich bei einem Freund darüber ausgelassen, dass meine Matches mir zu langweilig sind. Er sah mich nur mit hochgezogener Augenbraue an. “Immerhin hast du Matches”. Und plötzlich eröffnete sich mir eine völlig neue Perspektive auf die Welt – nämlich die eines Menschen, der für Tinder & Co. nicht schön genug ist. Übrigens auch ein wichtiger Grund, warum ich lieber einen Hund als eine Beziehung habe.
Dating Apps sind wie die Ladung eines gekenterten Öltankers: eine oberflächliche Sauerei. Apps springen voll auf unsere Fixierung nach Äußerlichkeiten auf, damit wir mehr und mehr Zeit mit ihnen verbringen. Die Algorithmen von Dating Apps zeichnen jeden einzelnen Swipe auf, merken sich, wen wir heiß finden und noch wichtiger – wer uns heiß findet. Wenn viele Menschen mich als schön bewerten, spielt mir der Algorithmus schönere Menschen zu. Das Magazin Fast Company war eines der ersten, das über den Elo-Score von Tinder berichtete.
Dating Apps machen einsam
Eine Freundin hat mir mal erzählt, dass sie in einer Bar einen Typen gesehen hat, der ihr gefiel. Anstatt ihn anzusprechen, ging sie auf Tinder, stellte den Suchradius auf weniger als einen Kilometer ein, swipte bis sie sein Profil fand und ließ ihm ein Like da.
In der Psychologie geht man davon aus, dass wir zu einem Online-Profil in einer Dating-App eine ähnliche Bindung aufbauen können wie zu einem Freund oder einer Freundin (1). Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen der echten und der virtuellen Begegnungen. Digitale Begegnungen haben aber den Nachteil, dass sie isoliert stattfinden: Wenn ich mit Freundinnen ausgehe, tanze und mir in den frühen Morgenstunden den Sonnenaufgang anschaue, habe ich auf jeden Fall das Leben gelebt – egal, ob ich dabei einen potenziellen Partner gefunden habe oder nicht. Wenn ich den Abend auf dem Sofa verbracht habe, kann ich noch so viele Matches gewonnen haben: Es fühlt sich trotzdem nicht einmal halb so gut an.
Dating Apps machen unglücklich
Wie gesund kann eine Anwendung sein, die die Begriffe Lovebombing, Ghosting und Benching hervorgebracht hat?
Ein Forschungsprojekt an der Universität Flensburg beschäftigt sich intensiv mit Online-Dating. Vorläufige Ergebnisse deuten an, dass Online-Dating mir Stress, Essstörungen oder Selbstwertproblemen in Verbindung gebracht wird. Wenn man in den Apps keine Matches erhält oder geghostet wird, zwackt das am Selbstwertgefühl (2). Geister hinterlassen viel Spielraum für Interpretation und wir alle neigen dazu, den Fehler bei uns selbst zu suchen. Bestehende Unsicherheiten werden dadurch verstärkt. Lust auf weitere romantische Begegnungen? Eher nicht.
Ich will wieder Schmetterlinge!
Mein allererstes offizielles Date hatte ich mit 15. Er hieß Niklas und wir wollten zusammen ein Eis essen gehen. Ich zählte die Stunden bis zum großen Tag. Bereits Tage vorher begann ich, mein Outfit zu planen. Mit meiner besten Freundin malte ich mir haarklein aus, wie das Treffen ablaufen würde: Sollte ich mich eher cool, süß oder sexy geben? Worüber sollten wir uns unterhalten? Was, wenn er versuchen würde mich zu küssen. Ich hatte so viele Schmetterlinge im Bauch, dass ich nicht mehr essen konnte.
Heute grenzt es schon an ein Wunder, wenn ich das Date nicht kurzfristig absage. Soll ich mich schminken? Ob er was sagt, wenn ich einfach in Jogginghose auftauche? Hoffentlich ist er wenigstens witzig. Was ist denn das für eine Erwartungshaltung? Ich die Schmetterlinge wieder zurück. Ich will übertriebene Vorfreude, Lampenfieber und High Investment-Gefühle und ich will, dass es meinem Date genauso geht. Und wenn ich das online nicht bekommen kann, reicht mir das als Grund, Dating Apps ein für alle Male zu canceln.
Quellen:
(1) Giles DC, Stever GS. Parasocial Experiences: Psychological Theory and Application.
(2) Degen, JL, Kleeberg-Niepage, A. The negative circuit of mobile-online dating: Reconstructing Tinder fatigue, and the mechanisms of Instagram dating as a coping strategy. Sage Open.
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