Es ist beinahe der vierte Advent und in meinem Wohnzimmer brennt noch immer keine Kerze. Das einzig Vorweihnachtliche in meiner Wohnung ist der halbtote Weihnachtsstern, den ich letzte Woche aus dem Supermarkt gerettet habe. Die Wahrheit ist: Ich mag Weihnachten nicht. Während andere Menschen im Beisammensein mit ihren Liebsten aufgehen, sich nach einem üppigen Essen gegenseitig aufs Bäuchlein klopfen und beim anschließenden Glühwein nostalgisch werden, überkommt mich an den Feiertagen oft die Einsamkeit – und das, obwohl ich nicht einmal alleine bin.
Früher habe ich mich einsam gefühlt, weil ich alleine war. Kindheit war für mich eine schwierige Erfahrung. Ich hatte kaum Freunde – zumindest keine, die mir nahe genug standen, um zu wissen, dass ich litt. Es gab Abende, an denen ich um 19 Uhr schlafen ging, nur um den nagenden Zahn der Einsamkeit nicht mehr zu spüren.
Heute bin ich selten alleine und kenne ausreichend Menschen, die mir ohne weitere Fragen helfen würden, eine Leiche zu vergraben. Alleinsein hat für mich eine neue Bedeutung gewonnen: Es ist Erholung, Kraft tanken, Selbstfürsorge. Die Einsamkeit kommt trotzdem – und paradoxerweise dann, wenn ich mitten unter Menschen bin. Dann legt sie sich um mich wie ein schwerer dunkler Mantel und wo eben noch Verbundenheit war, fühle ich mich auf einmal als würde ich die Welt aus dem inneren einer Glasglocke heraus betrachten. Plötzlich fühlt sich jedes Gespräch, jede Geste leer und bedeutungslos an. Mich beschleicht das irrationale Gefühl, mit meiner Anwesenheit zu stören – oder zumindest unsichtbar zu sein.
Einsamkeit in der Menge
Einsamkeit überkommt mich, wenn ich durch meine Social Feeds scrolle: Überall haben Menschen die scheinbar “beste Zeit ihres Lebens”, während ich eine etwas-schlechter-als-normalerweise-Zeit habe. Oder wenn Freund*innen mir kitschige Pärchenfotos unterm Weihnachtsbaum schicken. Oder vom lang ersehnten Verlobungsring. Zugegeben: Solche Bilder würden mich auch außerhalb der Feiertage triggern. Doch zu dieser Zeit des Jahres treffen sie mich besonders hart. Weil ich nicht vor Freude explodiere, während alle um mich herum das scheinbar tun.
Mit anderen sprechen? Hilft nicht immer.
Über die Jahre habe ich mir verschiedene Bewältigungsstrategien für plötzliche Einsamkeitsattacken ausprobiert, darunter völligen Rückzug (nicht empfehlenswert), Freund*innen anrufen, ignorieren (gar nicht empfehlenswert) oder mit einer der anwesenden Personen zu sprechen. Letzteres kann manchmal tatsächlich helfen, je nachdem wie die ausgewählte Person reagiert: Versteht sie mich, kann das Gefühl der Verbundenheit zurückkommen. Ernte ich jedoch nur leere Blicke oder ein hilfloses “wird schon wieder”, fühle ich mich hundertmal schlimmer als vorher.
Besser gegen Einsamkeit: Heulen auf dem Klo
Somit bleibt der zuverlässigste Umgang, den ich bisher für mich gefunden habe: Akzeptanz. Egal ob an Weihnachten oder jedem anderem Tag im Jahr. Wenn die Einsamkeit kommt, verlasse ich die Gruppe und suche mir einen Ort, an dem ich kurz alleine sein kann (zur Not eben die Gästetoilette). Ich nehme mir einen Moment zum Weinen und sage mir, dass es okay ist, sich traurig und einsam zu fühlen. Schmerz und Glück sind zwei Seiten derselben Münze und meine scheint momentan immer auf den Kopf zu fallen. Laut dem Bundesfamilienministerium fühlt sich jeder zehnte Mensch in Deutschland einsam. Ich bin also nicht alleine in meiner Einsamkeit. Also verbinde ich mich im Geiste mit all den anderen Menschen, die gerade auf Toiletten sitzen und heimlich weinen.
Ich versuche, nett zu mir zu sein. Sage mir nicht, dass ich mich nicht anstellen soll oder dass ich den anderen mit meinem Kummer die Stimmung vermiese. Denn die anderen sind nicht mein Problem. Stattdessen tue ich das, wonach mir gerade ist: Das kann ein Spaziergang mit Pepper sein oder ich entlade meine gesamte Traurigkeit in mein Notizbuch. Und nein, nichts davon nimmt den Kummer wirklich weg. Aber wenn deine beste Freundin weint, würdest du sie doch auch eher trösten, anstatt sie dafür zurechtzuweisen, dass sie sich mies fühlt. Wir sollten diese Fürsorge auch für uns selbst aufbringen.
Was kann ich sonst gegen Einsamkeit empfehlen?
- Umgib dich mit Menschen, die dir etwas bedeuten und deren Gesellschaft du genießt. Wenn ich viel Zeit mit oberflächlichen Kontakten verbringe, fühle ich mich eher einsam, als wenn ich dieselbe Zeit alleine verbringe.
- Mach dir Pläne für die Tage, die du alleine verbringst und zelebriere die Zeit mit dir selbst. Hier ist mein aktueller Plan für die Weihnachtstage.
- Ja es kann sich scheiße anfühlen, wenn du der einzige Single-Mensch auf der Weihnachtsfeier bist. Vor allem, wenn man sich von Verwandten “gut gemeinten” Ratschläge zur Partnersuche anhören muss. Es ist Zeit zurückzugeben: Hier sind nicht weniger gut gemeinte Ratschläge für Menschen in Beziehungen.
- Lass die Finger von Instagram und Co., vor allem wenn Social Media dir das Gefühl geben, alle außer dir hätten eine gute Zeit. Und mal ehrlich: Menschen, die wirklich eine tolle Zeit haben, verschwenden keine darauf, haufenweise Stories und Reels zu posten.
- Überlege dir einen Notfallplan für die Familienfeier: Wie lange willst du dort bleiben? Was tust du, wenn du dich unwohl fühlst? Wohin kannst du flüchten, wenn dir alles zu viel wird? Wen kannst du anrufen? Glaub mir, du willst diese Entscheidungen treffen, bevor du anfängst zu weinen.
- Für alle, die schon im Journalling-Game drin stecken: Dein Journal sollte an Weihnachten immer dabei sein. Für alle anderen: Jetzt wäre ein super Zeitpunkt, es auszuprobieren.
Hat dich auch schonmal plötzlich die Einsamkeit überkommen? Wie bist du damit umgegangen? Lass uns connecten und aneinander denken, wenn wir zum Weinen aufs Klo verschwinden. Ansonsten wünsche ich dir wunderschöne, tränenlose Feiertage.
Leave a Reply