Es ist beinahe der vierte Advent und in meinem Wohnzimmer brennt noch immer keine Kerze. Das einzig Vorweihnachtliche in meiner Wohnung ist der halbtote Weihnachtsstern, den ich letzte Woche aus dem Supermarkt gerettet habe. Die Wahrheit ist: Ich mag Weihnachten nicht. Während andere Menschen im Beisammensein mit ihren Liebsten aufgehen, sich nach einem üppigen Essen gegenseitig aufs Bäuchlein klopfen und beim anschließenden Glühwein nostalgisch werden, überkommt mich an den Feiertagen oft die Einsamkeit – und das, obwohl ich nicht einmal alleine bin.
Früher habe ich mich einsam gefühlt, weil ich alleine war. Kindheit war für mich eine schwierige Erfahrung. Ich hatte kaum Freunde – zumindest keine, die mir nahe genug standen, um zu wissen, dass ich litt. Es gab Abende, an denen ich um 19 Uhr schlafen ging, nur um den nagenden Zahn der Einsamkeit nicht mehr zu spüren.
Mein Therapeut lächelt mich aufmunternd an.
“Ihnen ist schon klar, dass diese Angst unrealistisch ist?”
Ist sie das denn? Über 5 Millionen Menschen meiner Altersklasse sind derzeit ungebunden. Laut einer Befragung, die das Dating-Portal ElitePartner in Auftrag gab, ist rund jeder Fünfte sogar Dauersingle, also seit mindestens 10 Jahren ohne Partnerschaft.*
Psychologe Dieter schaut mich mit so viel Zuversicht und Weisheit an, wie sie nur ein älterer weißer Mann aufbringen kann.
“Sie sind eine attraktive und sympathische Frau. Ich verspreche Ihnen, dass Sie nicht alleine bleiben werden.”
Danke für den Blick in die Glaskugel, Dieter. Ich hoffe, meine Krankenkasse bezahlt dich nicht nur dafür.
Ich bin seit etwa zehn Monate Single. Und jetzt, wo der Sturm aus Trennungschaos und dem neuen Leben sich allmählich legen, verfolgt mich das Bild einer ewigen Junggesellin, die mit ihren drölf Hunden Zungenküsse tauscht. Dieses Bild hat mich mehr als einmal in Beziehungen mit “ungünstigen” Rahmenbedingungen getrieben haben. Ich verliebe mich viel zu schnell und wahllos und verbringe dann unverhältnismäßig viel Zeit auf dem schwarzen Pony meines Gedankenkarussells, um das Verhalten meiner Angebeteten zu analysieren. In quäle mich durch alle neun Kreise der Hölle, solange im Zentrum ein Mann steht und mit ein paar Brocken Brot zuwirft. Muss man wirklich Psychologe sein, um hier den Therapiebedarf zu erkennen?
Lass mich dir das Problem erklären, Dieter.
Meine Eltern haben mich zu einem selbstbestimmten Menschen erzogen – allerdings immer mit der Erwartung, dass ich diese Selbstbestimmung im Rahmen einer glücklichen Partnerschaft, bestenfalls mit Kindern, finden würde. Keiner von ihnen hat berücksichtigt, dass ich für immer Single bleiben könnte. Ich mache ihnen keinen Vorwurf. Die Verbindung zwischen Mann und Frau ist so alt wie Schöpfungsgeschichte, wird aber im Gegensatz zu Kreuzigungen und der Opferung von Erstgeborenen immer noch idealisiert. Mein kindliches Umfeld, RomComs und Schundromane haben das Narrativ von der “Große Liebe” auch in mir tief verwurzelt. Dadurch habe ich einige Glaubenssätze entwickelt, die man zumindest bedenklich und teilweise einfach toxisch sind.
Glaubenssatz 1:
Die romantische Partnerschaft ist ein wichtiger Meilenstein im Leben.
Sesshaft werden. Seinen Seelenverwandten finden. Endlich angekommen sein. Viele Ausdrücke implizieren Partnerschaft als eine Errungenschaft, die mit einem Schulabschluss gleichzusetzen ist. Singlesein war in meiner Wahrnehmung bisher immer eine Übergangsphase: Ein Lebensabschnitt, in dem man sich “die Hörner abstoßen kann” bevor man sich in die ernste, erwachsene Partnerschaft begibt. Dieser Lebensabschnitt ist noch zu an ein klares Zeitfenster gebunden: Wer mit 20 heiratet, wird stirnrunzelnd belächelt, weil er sich zu früh festlegt. Wenn du es mit Mitte oder Ende 30 aber noch nicht geschafft hast, dich fest an jemanden zu binden, hast du ganz klar irgendwo verkackt im Leben.
Ich erinnere mich an die goldene Hochzeit meiner Großeltern. “50 Jahre verheiratet: Was für eine Leistung!” sagten alle Gratulanten, während eine ganze Generation geschiedener Töchter und Söhne die Köpfe einzog. Ich war damals noch zu jung, um die Ehe meiner Großeltern in Gänze zu beurteilen. Jedoch bekam ich damals schon mit, dass meine Großmutter zum größten Teil unglücklich und mein Großvater betrunken war. Eine derartige Partnerschaft auszuhalten ist tatsächlich eine Leistung. Aber sollte man dazu gratulieren?
Glaubenssatz 2:
Nur in einer romantischen Partnerschaft kann ich wirklich glücklich werden.
Wer mit romantischen Komödien aufgewachsen ist, hat die Lektion längst verinnerlicht: Es ist erst ein Happy End, wenn sie sich am Ende küssen. Die Idee, dass eine Partnerschaft Glück und Erfüllung bringt, sitzt tief. Und wenn sie das nicht tut, dann war es eben nicht der oder die Richtige. Ein Single kann sich zwar einreden, dass er/sie man mit dem Leben zufrieden ist. Aber tief im Inneren spürt man diese ungestillte Sehnsucht nach der großen Liebe. Das Narrativ vom Seelenverwandten hat uns erfolgreich davon überzeugt, dass wir ohne einen Partner an unserer Seite unvollständig sind. All die glücklichen lebenszufriedenen Singles lügen doch. Wahrscheinlich weinen sie sich gerade in den Schlaf.
Glaubenssatz 3: Ich bin für immer Single, weil mit mir etwas nicht stimmt.
Du stellst zu hohe Ansprüche, ziehst die falsche Sorte Mann an oder bist zu zickig, zu prüde oder zu leicht zu haben. Ganz klar: Wenn du keinen Partner findest, muss das an dir liegen. Dass Singlesein auch gesellschaftlich als Charakterschwäche bewertet wird, unterstreichen psychologische Studien, in denen Studierende Singles und Verheiratete mit bestimmten Merkmalen bewerten sollten. Dabei bewertete man Alleinstehenden durchschnittlich eher als unreif, unsicher, selbstsüchtig, unglücklich, einsam und hässlich. Verheiratete Menschen dagegen wurden Attribute wie reif, ehrlich, glücklich, fürsorglich und liebevoll zugeschrieben.
Glaubenssatz 4:
Wenn ich für immer Single bleibe, sterbe ich einsam und unglücklich.
In meinen dunkelsten Stunden frage ich mich, was passieren würde, wenn ich heute sterbe. Wie lange würde es dauern, bis jemand meine Leiche findet? Würde überhaupt jemand von meinen Freunden nach mir sehen oder würden meine Hunde mir die Knochen abnagen, bis sie auch vor Hunger sterben (an mir ist leider nicht so viel nahrhaftes dran).
Der größte Witz daran: Seit meiner letzten Trennung bin ich glücklicher denn je (wenn ich nicht gerade Torschlusspanik schiebe). Mein Freundeskreis ist rapide gewachsen und es vergeht kein Tag, an dem sich nicht jemand bei mir meldet und mich fragt, wie es mir geht. Ja, das Alleinleben hat seine Schattenseiten. Ja, es gibt Tage, an denen ich mich einsam fühle. Aber erstens sind diese Tage äußerst selten. Zweitens hatte ich diese Tage in meiner letzten Beziehung auch.
Und jetzt bist du dran Dieter.
Ich hätte mir gewünscht, dass mein Therapeut die oben beschriebenen Glaubenssätze in Frage stellt. Dass er mir Wege aufzeigt, wie ich mich auch ohne Partner als vollwertiger Mensch fühlen kann. Dass ich Quellen für Glück finde, die mich nicht von einer anderen Person abhängig machen. Dass ich meine Energie nicht mehr darauf anwenden muss, dass Gedankenkarussell zu bremsen und Männer zu daten, die mich eh nicht interessieren. Ich habe der Liebe mehr als eine Chance gegeben und fand manches daran cool, anderes auch eher für die Tonne. Dem Bild der ewigen Junggesellin habe ich dagegen konsequent einen Korb gegeben. Aber vielleicht wird es Zeit, dieses Bild einmal zu umarmen. Vielleicht würde es dann seine Bedrohlichkeit verlieren. Dann müsste ich nicht mehr aus Angst daten, sondern nur, wenn ich Bock drauf habe. Dann könnte ich meine Zeit mit Hobbys, Hunden und Menschen verbringen, die mich wirklich erfüllen. Dann bräuchte ich auch keinen Traumprinz, der mich rettet. Vielmehr müsste dieser Prinz sich schon ordentlich anstrengen, um in mein kleines Paradies eintreten zu dürfen. Und wenn er das tut, hätte er es sich sogar verdient, angehört zu werden.
Wäre das nicht ein Träumchen, Dieter?
*Fußnote für Statistik-Nerds: Es handelt sich um eine repräsentative Online-Befragung, die von einem entsprechenden Institut durchgeführt wurde. Das genaue Vorgehen wird nicht berichtet.
2 responses to “Für immer Single? Kampfansage an die Torschlusspanik”
[…] meinem letzten Post habe ich beschrieben, warum mir das Singlesein Angst macht. Das muss im Umkehrschluss ja bedeuten, dass ich mich in Liebesbeziehungen immer rundum wohl und […]
[…] ein glücklicheres und erfüllteres Leben als verheiratete Paare. Eindrücklich demontiert sie die bekannten Narrative und gibt uns neue – mit denen auch verpaarte Menschen glücklicher werden […]