Ja sagen: So hat es mein Leben komplett verändert

Ja sagen: So hat es mein Leben komplett verändert

In meiner letzten Partnerschaft habe ich mich enorm eingeigelt. Ich habe mir eine Kissenburg gebaut, aus der ich nur noch herausgekommen bin, wenn der Hund angeklopft hat, weil er dringend mal musste. Ich betrieb Social Distancing, schon lange bevor das Coronavirus überhaupt wusste, wo Europa lag.

Alle meine Tage sahen gleich aus: Tagsüber arbeitete ich. Abends schauten mein Freund und ich Filme oder spielten auf der XBox, bis ich Krämpfe in den Daumen hatte. Rausgehen? Freunde treffen? Auf keinen – Fall dafür hätte ich ja mit Menschen reden müssen. Und darin war ich zu dieser Zeit noch richtig, richtig schlecht. Gleichzeitig fragte ich mich, woher eigentlich diese plötzlichen Heulkrämpfe kamen und warum ich mich innerlich so leer fühlte. Hätte je keiner ahnen können, dass mein Lifestyle etwas mit meiner emotionalen Schieflage zu tun hatte, oder? Doch dann stellte mir mein Therapeut eine Aufgabe, die mein Leben gründlich umkrempeln sollte.

Die Aufgabe: Keine Einladung mehr ausschlagen

Mein Therapeut gab mir die Aufgabe, jede Einladung anzunehmen. Egal, ob es sich um eine Aufforderung zu einer gemeinsamen Aktivität, einer Party oder eine Reise handelte. Egal, ob ich die Person, die mich einlud kannte oder ob ich die vorgeschlagene Aktivität mochte: Ein Ja war die einzige erlaubte Antwort, Absagen keine Option. Auch wenn ich mehr als einmal darüber nachdachte, in letzter Minute zu canceln, weil es draußen regnete oder der Tag ja so anstrengend war – meine Zusage galt.

Anmerkung: Natürlich gab es Ausnahmen. So habe ich zum Beispiel Ryan Reynolds Einladung, eine gemeinsame Nacht in seiner Hotelsuite zu verbringen, abgelehnt. Sorry Ryan. Ich habe mich sehr geschmeichelt gefühlt, aber wir waren beide vergeben und es gibt Grenzen, die ich nicht überschreite. Außerdem sagte ich Nein zu den freundlichen Dealern am RAW-Gelände und der netten Dame, die mich einlud “heiße, willige Frauen aus meiner Nachbarschaft” kennenzulernen. Ein nein gab es auch für den Kollegen, der mich einlud, seine Arbeit für ihn zu erledigen. Aber netter Versuch, Jürgen!

Wie Ja sagen mein Leben verändert hat

Anfangs war ich überhaupt nicht begeistert von dieser Aufgabe. Ich hatte Sorge, dass mich der ganze Kontakt mit Menschen und das Draußensein überfordern würden. Oder dass ich bei den meisten Aktivitäten gar keinen Spaß haben würde. Völlig überraschend stellte sich aber heraus: Ich hatte Spaß. Ich mochte die Menschen. Unter hundert angenommenen Einladungen waren vielleicht zwei oder drei, die mich enttäuscht haben. Stattdessen begann ich, mich wieder für die Außenwelt zu interessieren. In meiner Kissenburg verstaubten die Regale, weil ich kaum noch da war. Und wider Erwarten machten mich die ganzen Aktivitäten nicht müde. Im Gegenteil: Ich hatte so viel Energie wie schon lange nicht mehr. Wenn ich morgens wach wurde, fiel mir sofort etwas ein, auf das ich mich freuen konnte. Mein Freundes- und Bekanntenkreis wuchs exponentiell und ich fühlte mich willkommen, wo auch immer ich hinging.

Hier eine kleine Auswahl an Erlebnissen, die ich fast abgelehnt hätte

Blood on the Clocktower spielen

Blood on the Clocktower ist ein Social Deduction Spiel. Wer schon einmal “Werwölfe von Düsterwald” gespielt hat, weiß, was ich meine. Falls dir das alles gar nichts sagt: Es geht hauptsächlich darum, Menschen zu lesen, sie anzulügen und herauszufinden, ob man angelogen wird. In Berlin treffen sich jeden Montag Menschen im Brettspielplatz, um gemeinsam zu spielen. Meine beste Freundin hatte bereits mehrere Versuche unternommen, mich einzuladen. Als sie von meiner Hausaufgabe erfuhr, sah sie ihre Chance gekommen. Und es stellte sich heraus: Menschen anlügen macht mir richtig viel Spaß! Inzwischen ist diese Spielegruppe meine feste Community geworden und mit einigen Spieler:innen pflege ich inzwischen gute Freundschaften. Definitiv mein bestes Ja!

100 Kilometer wandern

Ich bin ja grundsätzlich kein unsportlicher Mensch. Aber um 100 Kilometer zu Fuß zu gehen, muss man schon bescheuert sein – oder seine Therapiehausaufgaben sehr ernst nehmen. Die Freundin, die mich zu diesem Mammutmarsch einlud, nahm ihre Zusage leider nicht so ernst und ließ mich ein paar Wochen vor dem Event sitzen. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon fast ein halbes Jahr trainiert, Wanderschuhe und Funktionsunterwäsche gekauft. Deshalb machte ich mich alleine auf den Weg. Ich will nicht lügen, Leute: Es tat scheiße weh und ich habe mehr als einmal daran gedacht, einfach in die nächste S-Bahn zu steigen und wieder heim zu fahren. Aber 22 Stunden nach dem Start hatte ich es schließlich geschafft.

Heute ist Wandern eines meiner liebsten Hobbys. Nachdem die Blasen verheilt und der Schmerz vergessen war, meldete ich mich gleich für meinen nächsten Mammutmarsch an. Dieses Mal wählte ich eine Begleitung, die nicht kurzfristig absagen würde. Sorry Pepper.

Hasch-Brownies ausprobieren

Definitiv ein Erlebnis. Für meinen Geschmack hätte der Trip nicht ganz so lange dauern müssen, aber lustig war es auf jeden Fall.

Im Technoclub tanzen gehen

Ich musste erst 6 Jahre in Deutschlands Techno-Hochburg leben, bevor ich meinen ersten Club besuchte. Ohne meine Hausaufgabe wäre das wahrscheinlich auch nie passiert, denn ich kann mit Techno wenig anfangen und konnte mir kaum vorstellen, wie ich einen Abend lang dazu tanzen soll. So nahm ich die Einladung in die “Renate” an und fand es überraschend geil. Auch wenn Technopartys nicht mein neues Hobby werden – ich würde auf jeden Fall wieder hingehen.

Spontaner Kurztrip nach Salzburg

Mein letztes Jahr war turbulent. Nach der Trennung war mein Alltag hauptsächlich damit gefüllt, mein Leben neu zu sortieren und eine neue Wohnung für mich und Pepper zu finden. Über Urlaub habe ich in der ersten Jahreshälfte gar nicht nachgedacht. Da kam die Einladung einer lieben Freundin sehr gelegen: Sie hatte im September einen Heimaturlaub in Salzburg geplant und bot mir an, sie dort zu besuchen. Ich verbrachte vier Tage dort und fand es herrlich. Nicht nur, weil das Salzburger Land wunderschön ist und das tolle Wetter uns viele schöne Stunden am Wolfgangsee schenkte: Ich habe auch das Gefühl, dass wir uns durch die gemeinsame Zeit näher gekommen sind.

Ich werde weiter Ja sagen

Ich mache meine Hausaufgaben immer noch, obwohl mein Therapeut mich gar nicht mehr kontrolliert. Ja zu sagen durchbricht meine Routine und sorgt dafür dass ich regelmäßig neue spannende Impulse bekomme, die mich inspirieren und meinen Horizont erweitern. Wenn du mehr Abwechslung in deinem Leben möchtest oder das Gefühl hast, festgefahren zu sein, kann ich dich nur ermutigen, es mir nachzumachen.

Ach ja, und wenn du mich zu etwas einladen willst – nur zu! Ich werde höchstwahrscheinlich ja sagen.

Freundinnen formen mit ihren Händen ein Herz
Liebe unter Freundinnen

Weiterlesen

Freunde finden

Ich tue mich schon mein Leben lang schwer damit, Freundschaften aufzubauen. Dabei ist ein guter Freundeskreis wesentlich wertvoller als jede romantische Partnerschaft. Aber wie findet man Freunde, wenn man gerade keine hat?

Lisa-Marie Avatar
Verified by MonsterInsights