Allein.Stehend.

Selbstliebe ist ein aktuelles Buzzword, mit dem Influencer*innen viel zu teure Kleidung und Gesichtsbehandlungen verscherbeln. Nach ihrer Definition ist Selbstliebe ein Wellness-Begriff, der uns erlaubt, noch ein zweites Stück Kuchen zu essen oder vor dem Spiegel motivierende Selbstgespräche zu führen. Dieser Begriff der Selbstliebe geht mir aber nicht weit genug. Der folgende Beitrag legt ihn radikaler aus.

Ich bin inzwischen schon eine Weile länger Single, als ich nach meiner letzten Trennung geplant hatte. An sich fände ich das nicht weiter schlimm, wenn die Aussichten darauf, wieder jemanden kennenzulernen wenigstens Anlass zur Hoffnung geben würden. Wenn ich mich bei Freunden und Bekannten darüber beklage, wie schwierig es ist, mit Mitte/Ende 30 noch jemanden kennenzulernen, lächeln sie weise und sagen: “Du musst dich erst einmal selbst lieben, bevor du jemand anderen lieben kannst.” Der Langzeitsingle mag geneigt sein, sich über solche Plattitüden aufzuregen. Ich habe mir diesen Rat jedoch zu Herzen genommen und es war das Beste, was ich tun konnte. Damit du auch Lust bekommst, die radikale Selbstliebe auszuprobieren, habe ich dir eine Vision in Worte gegossen. So könnte deine Zukunft aussehen.

Als du an diesem Morgen aufwachst,

spürst du, dass etwas anders ist. Du fühlst dich nicht mehr so grau und ausgelaugt, so unsichtbar und ungeliebt. Und dort in deiner Brust, wo gestern noch ein harter schwarzer Klumpen war, spürst du heute etwas ungewohnt lebendiges. Dein Handy leuchtet auf. Du hast eine Textnachricht bekommen. Sie lautet:

Hey Sexy! Hast du heut Abend schon was vor?

Winky Smily. Aubergine.

Und du siehst sofort: Es kommt von deinem Lieblingsmenschen: Von dir.

Was ist passiert? Scheinbar hat Armor statt eines Pfeils versehentlich einen Bumerang abgefeuert und jetzt bist du dir selbst so unwiederbringlich verfallen, dass du mit dir ausgehen willst.

Du checkst deinen Kalender. 

Och nö, du hast heute schon ein Date mit Sascha.

Blöd.

Für Sascha.

Denn für dich lässt du alles stehen und liegen. 

Du hast so viel Zeit und Energie in Dates mit anderen gesteckt. Und die wenigsten davon waren es wert. Also liebe lieber dich! Ab jetzt stehst du an erster Stelle. Und du behandelst dich nicht wie einen Booty Call, den man spät in der Nacht kurzfristig anruft, wenn das Date mit Sascha sich als komplette Enttäuschung entpuppt hat. Du bist niemanden, den man unter einer verschwitzten Bettdecke mit zwei Fingern und ein bisschen Spucke abfertigt. Du verdienst es, nach allen Regeln der Kunst verführt zu werden. 

Also lass dich nicht zappeln, sondern schick dir sofort eine eindeutige Antwort, zum Beispiel:

Mmh, hallo du heißes Stück! Ich kann es kaum erwarten.

Wassertropfen-Emoji.

Dann schick dir noch ein sexy Nacktselfie, um dich vorab schon mal ein bisschen in Stimmung zu bringen. #selbstliebe

Selbstliebe: Heute hast du ein Date mit dir.

Ab ins Bad mit dir, brezel dich auf. Endlich lohnt es sich mal.

Dusche heute mal extra lange, peele deine Nippel und glätte dir die Schamhaare bis sie weich und seidig sind. Jeder Mensch, der dir heute begegnet, soll sich nach dir verzehren. Und gleichzeitig wissen, dass er dich nicht haben kann. Denn heute Nacht bist du schon dir selbst versprochen. 

Es ist Zeit, die sexy Wäsche aus der Kommode zu holen. Dann kannst du den ganzen Arbeitstag lang darüber nachdenken, wie heiß du in der roten Spitze aussiehst. Langweiliges Meeting? Nutz die Zeit, um deine wildesten Fantasien mit dir selbst auf dem Konferenztisch aufblühen zu lassen. Spiel versaute Schattenspiele mit dem Beamer und der Leinwand und spätestens, wenn du dir selbst den Hintern versohlst, wirst du den Feierabend herbeisehnen.

Eigentlich wolltest du fürs Abendessen Falafel holen.

Aber dann hast du dich zurechtgewiesen. Führ dich gefälligst in ein schickes Restaurant aus, reserviere einen Platz am Fenster und blicke dir durch die Scheibe verträumt in die Augen. Mach dir reichlich Komplimente. Immerhin hast du Stunden im Bad verbracht, um so gut für dich auszusehen. Erzähl dir, wie dein Tag war und höre dir gut zu. Schenke dir selbst deine volle Aufmerksamkeit. 

Durch die Scheibe siehst du, dass die Frau am Nebentisch dich anstarrt. Natürlich tut sie das. Du siehst auch verdammt heiß aus. Du entschuldigst dich, um zu Toilette zu gehen. Als du am Nebentisch vorbeigehst, streift deine Hand zufällig den Rücken der fremden Frau. Augenblicklich bildet sich Gänsehaut im tiefen Rückenausschnitt ihres Kleids. Als du das siehst wirst du eifersüchtig auf dich – aber auch ziemlich geil. Du beschließt, dein Dessert lieber zu Hause zu vernaschen. 

Du musst dich beherrschen, um nicht schon im Uber über dich herzufallen.

Das Leder der Rückbank glüht heiß unter deinem Po. Deine Hand legt sich auf dein Knie und kurz darauf fängst du an, dich so heftig zu befummeln, dass der Uberfahrer vergisst, auf die Straße zu schauen. Ruhig, Brauner! Du willst es doch heil nach Hause schaffen.

Spätestens im Treppenhaus fängst du an, dir die Kleider vom Leib zu reißen. Dein Verlangen nach dir wächst mit jeder Stufe, die du zu deiner Wohnung erklimmst. Deine Finger zittern schon so sehr, dass du es kaum schaffst, die Tür aufzuschließen. Auf dem Weg ins Schlafzimmer küsst du dich selbst an allen Körperstellen, einschließlich Hals und Ellebogen. Denn deine Erregung macht dich hypergelenkig und hyperstark, sodass du dich selbst hochheben und aufs Bett werfen kannst. Mit einem entschlossenen Handgriff reißt du  dir die Unterhose vom Körper. Du schiebst dir eine Hand in den Schritt und du fühlst, wie bereit du bist. 

Doch überstürze auch in der Selbstliebe nichts.

Ein gottgleiches Wesen wie du sollte nicht einfach nur grob abgerubbelt werden wie ein nasser Hund mit einem Frotteetuch. Bete dich an mit allem, was du hast. Fass dich an, wie dein letzter Lover es hätte tun sollen. Und gib dir selbst all die Bestätigung, die er oder sie nicht verdient hat. Sag dir selbst “Oh mein Gott, ja. Genau da. Weiter so. Weiter!” Aber nur, wenn es wirklich gut war. Sei ehrlich mit dir selbst. Wie willst du lernen, was dir gefällt, wenn du dir etwas vormachst? Probier auch hin und wieder mal was Neues aus. Nimm auch mal die linke Hand. Oder den Duschkopf. Du bist müde? Dann darfst du heute mal der Seestern sein und den Vibrator die ganze Arbeit machen lassen.

Und wenn dein Körper schließlich bebend und erschöpft in die Kissen sinkt, kannst du dir selbst auf die Schulter klopfen und dir sagen, wie großartig du warst. Aber übertreib es nicht. Du willst ja schließlich nicht needy rüberkommen. Bewahrst du dir stattdessen eine mysteriöse Aura, wirst du das Feuer deiner Leidenschaft nur noch weiter entfachen. Aber wenn du dann glückselig in deinen Armen einschläfst, kannst du Armor für diesen Fehlschuss ins Herz der Selbstliebe danken.